Haftungsausschluss: Dieses Essay ist eine philosophische Reflexion über Kapital, Subjektivität und existenzielle Angst. Alle verwendeten Begriffe – darunter „existenzielle Ökonomie“, „Kapital als lebendiges Subjekt“, „Inframensch“ und „ideales Verbrechen“ – sind rein konzeptionell und metaphorisch zu verstehen. Der Text befürwortet, rechtfertigt oder legitimiert keinerlei illegale, unmoralische oder schädliche Handlungen. Ziel ist es, die psychologischen, phänomenologischen und symbolischen Strukturen zu untersuchen, die modernen ökonomischen Verhaltensweisen zugrunde liegen. Alle Verweise auf strategisches Handeln, Identitätszerfall oder die Konstruktion existenzieller Situationen sind als Teil eines spekulativen, philosophischen Deutungsrahmens zu verstehen – nicht als Handlungsanleitung. Das Essay gehört in den Bereich kritischer Theorie und existenzieller Auseinandersetzung.
Dieses Essay setzt meine philosophische Ausarbeitung der existenziellen Ökonomie fort — ein Konzept, das ich in einer Reihe von Texten entwickle, die sich mit der Angst des Kapitals, der Besessenheit vom Besitz und der Psychologie des Investors beschäftigen.
In den Tiefen der modernen Marktwelt verbirgt sich eine existenzielle Unruhe — eine urtümliche Angst vor dem Nichtsein, die das Verhalten des Geldes und der von ihm Besessenen durchdringt.
Klassische Ökonomen zeichneten das Bild eines rationalen Menschen und Investors, der kühl seinen Nutzen maximiert; Verhaltensökonomen hingegen katalogisierten die Abweichungen von dieser Rationalität: kognitive Verzerrungen, emotionale Impulse, „Rechenfehler“.
Die existentielle Ökonomie jedoch — so wie ich sie verstehe — ist ein dritter Weg zwischen diesen Paradigmen. Sie behauptet, dass der Ursprung wirtschaftlichen Handelns nicht im Irrtum der Logik liegt, sondern in einer ontologischen Panik — einem tiefen Erschauern des Kapitals vor dem Nichtsein.
Ein Finanzier, der sich in zweifelhafte Abenteuer stürzt; ein Investor, der manisch eine Kryptowährungsblase aufbläht; ein Milliardär, der alles auf eine Karte setzt – sie alle werden nicht nur von Gier oder Torheit angetrieben, sondern von einem existenziellen Impuls, ihr Dasein durch das Kapital zu verlängern.
Das Kapital erscheint hier als beseelter Teilnehmer des Dramas – ein quasi-Subjekt, lebendig und leidend. Seine unlogischen Zuckungen lassen sich nicht durch Kalkül erklären, sondern durch Todesangst. Das Geld zittert und bebt wie ein gehetztes Tier, das die Bedrohung der Entwertung, der Seinskatastrophe und des Untergangs spürt.
Ein Investor erlebt beim Anblick eines Marktzusammenbruchs nicht einfach einen finanziellen Verlust – sein „Ich“ wird von dem Entsetzen erschüttert, gemeinsam mit dem Kapital zu verschwinden. Er fürchtet nicht nur den physischen Tod, sondern auch den sozialen: den Verlust von Status und Gesicht, das Verfallen ins Nichts.
Daraus entspringt das fieberhafte Bestreben, das „Ende“ um jeden Preis zu vermeiden – zu gewinnen, koste es, was es wolle, die Zeit zu überlisten, sich noch einen morgigen Tag zu erkaufen. Rationalität ist hier machtlos: In den Verlauf der Ereignisse mischt sich eine ontologische Unruhe ein, die das Verhalten des Spielers unvorhersehbar macht – nur auf den ersten Blick irrational, in Wahrheit jedoch der Logik eines Daseins unterworfen, das dem Nichtsein die Stirn bietet.
Nikolai Berdjajew sprach von einer geistigen Krise, in der der Mensch zum Sklaven der Dinge wird und die Vorherrschaft des Geistes über die Materie verliert. Die existentielle Ökonomie führt diesen Gedanken weiter: Der Mensch des Marktes fürchtet nicht mehr nur um das Leben seines Körpers, sondern um das „Leben“ seines Kapitals – denn er hat sich mit ihm identifiziert.
„Ich existiere nur, weil ich besitze“ – so lautet das unausgesprochene Credo unserer Konsumepoche. Und folglich wird die Bedrohung des Besitzverlusts als Bedrohung der eigenen Vernichtung erlebt. Die Existentialisten – Heidegger, Jaspers, Sartre – beschrieben das Grauen vor dem Nichtsein, die Angst, die die Seele zerreißt beim Blick in den Abgrund.
Heute schimmert diese Angst durch Businessanzüge und Börsenberichte. Das Kapital zittert vor Angst vor dem Tod – und diktiert den Menschen durch diese Angst seine wahnsinnigen Entscheidungen.
Die existentielle Ökonomie schlägt vor, das Kapital phänomenologisch zu betrachten – nicht als Objekt, sondern als eine besondere Form der Bewusstseinsbesessenheit. Ähnlich dem „Gespenst“ bei Max Stirner bemächtigt sich das Kapital des Menschen von innen heraus, wird zu seiner Obsession, zu einem Geist, durch den die Person ihr eigenes Dasein erfährt.
Der Mensch besitzt das Kapital nicht mehr einfach – das Kapital besitzt den Menschen, es organisiert seinen Willen und seine Gefühle um sich herum. Geld verwandelt sich in das Spiegelbild der Seele: Es zählt nicht mehr, was das Kapital „an sich“ ist – entscheidend ist, was es für seinen Träger bedeutet, wie es erlebt wird.
Stellen wir uns einen wohlhabenden Investor vor, der alle denkbaren materiellen Gipfel erreicht hat. Man könnte meinen, er würde zur Ruhe kommen, doch ihn quält eine existenzielle Krise: „Wenn ich Hunderte Millionen besitze – worin liegt dann noch der Sinn?
Wer bin ich ohne die endlose Vermehrung meines Vermögens?“ Die Angst, als bedeutende Figur zu verschwinden, treibt ihn zu irrationalen Schritten. Er beginnt, wahnsinnig zu riskieren, spielt gegen den Markt selbst, als wolle er das Leben an der Grenze spüren.
Der phänomenologische Ansatz erlaubt es zu sagen: Kapital ist keine tote Zahl auf einem Bankkonto, sondern eine innere Stimme, die nach ewiger Vermehrung verlangt. Es besitzt eine eigene Intention – einen Willen zur Selbsterhaltung und zum Wachstum –, den es seinem Träger eingibt.
Ein Mensch, der von dieser Besessenheit ergriffen ist, sieht in der Welt nur noch das, was mit Geld zu tun hat. Der gesamte Horizont seiner Empfindungen zieht sich zum Kapital zusammen: Freude, Angst, Liebe, Selbstwert – alles wird am Zugewinn oder Verlust gemessen.
In einem solchen Zustand verwandelt sich das Leben in ein endloses Spiel mit dem Gespenst des Nichtseins. Das Kapital hört auf, ein Instrument zu sein, und wird zum Spiegel: Der Mensch blickt in den schimmernden Strom der Finanzkurse und erkennt darin das Abbild seiner eigenen Bedeutung.
Er versucht verzweifelt, dieses Spiegelbild festzuhalten, es nicht verschwinden zu lassen. Das ist Götzendienst – die Reduktion des Daseins auf Besitz –, worüber Erich Fromm unmissverständlich gesprochen hat.
Die existentielle Ökonomie stellt klar: Ich bin niemand, Leere, denn mein ganzes Dasein ist in den Dingen verpfändet. Kapital als Besessenheit leert die Seele aus: Anstelle eines lebendigen „Ich“ bleibt nur ein Götze, der Verehrung fordert.
Doch der Götze ist launisch. Mal schenkt er die Illusion der Unsterblichkeit, mal droht er mit dem Zusammenbruch. Der vom Kapital Besessene schläft leicht und unruhig. In der Nacht erscheinen ihm die Schwankungen der Märkte, am Tag der Geist des Bankrotts im Nacken.
Diese ontologische Unsicherheit gebiert die seltsamsten ökonomischen Phänomene – irrationale Investitionen, Finanzpyramiden, bizarre Pseudotoken und die endlose Suche nach der Lösung für „schnelles Geld“.
Kapital verlangt Bewegung, sonst stirbt es – und mit ihm stirbt die Seele des Kapitalisten, die ihre Grundlage verloren hat. So wird das Kapital zu einem abergläubischen Gott, der Opfer und ständige Aktivität fordert und seinem Anhänger andernfalls mit einer existenziellen Hinrichtung droht – dem Gefühl der eigenen Nichtigkeit.
Um die komplexen Irrwege des besessenen Kapitals zu beschreiben, greift die existentielle Ökonomie teilweise auf die Feldmetapher von Kurt Lewin zurück. Verallgemeinert man die Idee des Feldes, so lässt sich ein „Lebensraum des Kapitals“ vorstellen. Dort erscheinen gewinnbringende Möglichkeiten als positive Ladungen, die das Kapital zum Wachstum verlocken, während Bedrohungen wie negative Ladungen wirken, die es zum Ausweichen zwingen.
Das Kapital lebt in einem Kraftfeld, das sowohl von ökonomischen Faktoren (Zinsen, Preise, Steuern) als auch von psychologischen Zuständen (Marktstimmungen, Paniken, Euphorien) und sozialen Institutionen (Wettbewerb, Regulierung, Normen) gebildet wird. In diesem Feld strebt das Kapital scheinbar seinem Ziel entgegen – der endlosen Selbstvermehrung –, während es zugleich dem „Tod“ in Form von Entwertung und Verlust auszuweichen versucht.
Natürlich ist dieses Modell in vielerlei Hinsicht metaphorisch. In der Realität versuchen Ökonomen, derartige Wechselwirkungen mit Gleichungen zu berechnen – man spricht ja von „Marktkräften“, vom „Wettbewerbsdruck“ und verwendet sogar Gravitationsmodelle für Handelsströme.
Doch meine existentielle Ökonomie überschreitet bewusst die Grenzen trockener Mathematik und bietet eine philosophische Perspektive. Das Feld des Kapitals ist ein ganzheitliches Bild, in dem sich Zahlen und Leidenschaften untrennbar miteinander verweben.
Hier ist Raum sowohl für die Angst vor dem Bankrott als auch für die Hoffnung auf Erfolg, für normative Einschränkungen ebenso wie für irrationale Gerüchte. Alle Komponenten sind wechselseitig voneinander abhängig: Die Stimmung der Investor innenmasse kann die Kurse ebenso zum Einsturz bringen wie ein realer Bilanzverlust; und eine neue Regulierung vermag das fiebrige Wachstum zu bremsen, indem sie sich auf Ethik oder die Androhung von Strafe beruft.
Die existenzielle Ökonomie begreift den Marktprozess als ein einheitliches Gewebe des Seins, in dem menschliche Emotionen und Institutionen untrennbar mit den Bewegungen des Kapitals verwoben sind.
Besonders wichtig ist dabei die Erkenntnis: Kapital ist immer in menschliche Beziehungen eingebettet. Es existiert nicht für sich allein – es wird besessen, investiert, es ist Anlass für Konkurrenz wie auch für Kooperation. Deshalb sollte man streng genommen nicht vom Feld des Kapitals sprechen, sondern vom Feld um das Kapital – einem sozial-psychologischen Raum, in dem sich die Interessen, Ängste und Hoffnungen zahlreicher Subjekte kreuzen.
Innerhalb eines Unternehmens etwa wird das Budget auf verschiedene Abteilungen verteilt – auch das ist ein Feld: Projekte und Fraktionen ziehen die Decke an sich, und das Kapital fließt dorthin, wo die Kraft des Einflusses überwiegt.
Auf dem Markt wiederum bilden die Investoren ein kollektives Stimmungsfeld: Panik und Euphorie breiten sich wie Wellen aus und erfassen immer neue Akteure. Zuckt ein großer Spieler, so spüren die Kleinen die Verschiebung im Feld und rennen ihm panisch hinterher.
So verwirklicht sich der „Herdentrieb“: Ängste und Wünsche verstärken einander und formen einen gemeinsamen Impuls. Diese Phänomene sind nichts anderes als existentielle Dynamik – das Auftreten grundlegender Eigenschaften menschlichen Daseins in der Ökonomie: die Furcht, etwas zu verlieren, und das Streben, sich selbst zu behaupten.
Die „Feldmetapher“ unterstreicht: Das Verhalten des Kapitals entsteht nicht im Vakuum, seine Bahn ist das Ergebnis zahlreicher sich überlagernder Vektoren. Anstelle linearer Kausalität tritt ein komplexes Kraftmuster, in dem sich Kräfte gegenseitig ausbalancieren. Das erinnert an das ontologische Drama der Person – auch der Mensch ist zwischen widersprüchlichen Bestrebungen hin- und hergerissen und bemüht sich, seine Ganzheit zu bewahren.
Die existenzielle Ökonomie vermenschlicht damit das Kapital und gibt der ökonomischen Analyse eine verlorene Dimension zurück – die Dimension von Bedeutung, Emotion und der wahren existenziellen Dramatik. Das Kapital ist hier keine Abstraktion, sondern ein Protagonist der Erzählung, erfüllt von Angst, Hoffnung und dem Willen zu überleben.
Und genau hier, getrieben von seiner eigenen, tiefen Motivation, das Zittern des Kapitals und seinen geschwächten Drang zur Vorsicht spürend, betritt eine besondere Figur die Bühne – der Inframensch, ein rätselhafter Über-Spieler, der diese Logik tiefer als alle anderen versteht und sie zu seinem Vorteil zu nutzen weiß.
Der Inframensch – ein Phänomen, dem ich bereits zahlreiche Essays gewidmet habe – ist, wie wir uns erinnern, ein Mensch (oder eine Gruppe) mit genialem Verstand und vollständig „abgeschalteten“ Gewissensstrukturen.
Während alle anderen ethische Wetterfahnen sind, deren Moral sich nach dem Wind von Erfolg und Misserfolg dreht, hat sich der Inframensch prinzipiell von moralischen Begrenzungen befreit.
Er spielt auf dem Feld der Ökonomie mit kalter Berechnung und kreativer Kühnheit, ohne Reue und ohne Illusionen. Das ist kein banaler Amoralismus, sondern vielmehr eine besondere innere Symmetrie – ein Zustand, in dem der Verstand von keinem Tabu mehr gefesselt ist und Züge auf der tiefstmöglichen Ebene berechnen kann.
Stellen Sie sich ein Spiel vor, in dem alle Teilnehmer nach dem Gewinn lechzen, im Fall einer Niederlage jedoch sofort verkünden, sie seien „Opfer von Ungerechtigkeit“. Wir sehen das überall: Ein gefallener Investor beschuldigt den Markt, ein Betrüger, der von einem noch raffinierteren Betrüger hereingelegt wurde, wird plötzlich zum „einfachen Anleger“ und beklagt die Unfairness.
Diese Opferhaltung ist der Inbegriff moralischen Relativismus: Solange das Glück mir hold ist, bin ich der Held – sobald ich verliere, bin ich das unschuldige Opfer, dem die Welt Unrecht getan hat. Es ist eine bequeme Maske, die hilft, Gesicht und Selbstwert zu wahren. Doch der Inframensch spielt solche Spiele nicht. Für ihn existiert die Kategorie „Opfer“ überhaupt nicht – jeder entscheidet selbst, ob er sich dem Risiko aussetzt, und wenn er verliert, nimmt er sein Schicksal ohne Klage an.
Der Inframensch braucht keine Rechtfertigungen – eine Niederlage ist für ihn Teil eines größeren Plans, eine Lektion oder eine Stufe, aber kein Anlass, sich die Haare zu raufen. Denn sein „Ich“ hängt nicht vom Sieg oder der Niederlage ab – es ist jenseits der Moral von Ergebnissen verwurzelt. Der Inframensch ist der Antipode des Opfers. Er wird niemals schreien: „Man hat mich betrogen!“, selbst wenn er betrogen wurde. Er nimmt den Schlag schweigend hin, zieht seine Schlüsse und erhebt sich über die Situation – oder er zieht sich leise zurück und bewahrt seine Integrität.
In der Ideengeschichte wurde dieser Typus wohl am eindringlichsten vom Marquis de Sade beschrieben. In seinen düsteren philosophischen Romanen sind die grausamsten Schurken zugleich die Philosophen des Lasters – Wesen, die vollständig mit der Moral gebrochen haben. Sie sind grausam, aber… respektvoll zueinander: Ein Bösewicht rührt keinen gleichrangigen Bösewicht an, wenn er in ihm denselben klaren Verstand erkennt. In den Romanen „Justine“ und „Juliette“ schrieb de Sade offen: „Wir hätten ihn opfern können, doch ein so klarer Geist verdient es zu leben.“
Schurken respektieren ihresgleichen, denn sie erkennen in einander die Freiheit des Geistes – jene dunkle Freiheit, die jenseits von Gut und Böse liegt. Doch sobald einer von ihnen Schwäche zeigt – Bindung, Vertrauen, Liebe –, wird er augenblicklich zur Beute: „Wenn ein Philosoph der Moral verfällt, ist er kein Philosoph mehr, sondern das Opfer von morgen.“ Diese Bemerkung de Sades spiegelt die Natur des Inframenschen wider: Wer den Nerv des Gewissens oder eine Abhängigkeit von einem anderen offenbart, verliert seine Unantastbarkeit – und kann vernichtet werden.
Der Inframensch ist ein Ingenieur des Daseins – er entwirft Situationen, die andere mit der Nacktheit ihrer eigenen Existenz konfrontieren. In diesem Sinne ist der Inframensch der zentrale Akteur der „existenziellen Ingenieurskunst“: einer gezielten Konstruktion von Ereignissen, in denen sich die tiefsten Wahrheiten über den Menschen offenbaren.
Inframenschen erkennen einander an ihrer Handschrift – am völligen Fehlen der Opferpose, an jener beunruhigenden Freiheit in den Augen. Wenn ein Inframensch einem Ebenbürtigen begegnet, zieht er es vor, sich in den Schatten zurückzuziehen oder über Stellvertreter zu handeln, nicht direkt.
Zwischen ihnen existieren weder persönliche Feindschaft noch emotionale Motive – und ohne diese verliert der Kampf seinen Sinn und wird zu einer nüchternen Kollision von Algorithmen. Ein passendes Beispiel aus der Filmsymbolik ist das Aufeinandertreffen der Maschinen im „Terminator“: T-800 gegen T-1000 – ein Konflikt reiner Strategien, ohne Emotionen, in dem nicht die „Persönlichkeit“, sondern die überlegene Architektur siegt.
Die Figur des Inframenschen ist im Grunde der ideale Verbrecher auf philosophischer Ebene. Kein Bösewicht aus Gier oder Sadismus, sondern ein Spieler, der die existenzielle Mechanik durchschaut hat. Er erkennt, dass die meisten Menschen sich selbst etwas vormachen, sich hinter Moral und Gesetz verstecken, solange es gut läuft – und diese Maske beim ersten Zusammenbruch fallen lassen. Er versteht: Das Sicherheitssystem der kapitalistischen Ordnung stützt sich auf die Vorhersehbarkeit des durchschnittlichen Menschen – genau jenes Menschen, der Strafe fürchtet, Rechtfertigungen braucht und deshalb anfällig für Einschüchterung ist.
Der Inframensch hingegen fürchtet sich nicht davor, im Unrecht zu sein – Moral ist für ihn kein Maßstab. Er ist klug – und deshalb beinahe ungreifbar, denn er denkt einen Schritt weiter als der Staat oder die Konkurrenz, die an Regeln gebunden sind. Er spürt intuitiv, wovor das Kapital sich fürchtet, wo seine Achillesferse liegt. Und genau dort setzt er seinen Angriff.
Im Zentrum der existenziellen Ökonomie entsteht ein paradoxes Bild – das ideale Verbrechen. Doch es handelt sich dabei nicht einfach um einen perfekt ausgeführten Diebstahl oder Betrug. Im philosophischen Sinne ist das ideale Verbrechen ein Akt, der das Opfer zwingt, seiner eigenen Existenz von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Der Inframensch inszeniert für das vom Kapital Besessene ein Ereignis, das ihm plötzlich alle gewohnten Schutzmechanismen – juristische, soziale, psychologische – entreißt und sein Wesen vor dem Abgrund des Seins entblößt.
Stellen wir uns einen reichen Betrüger vor, der sein Vermögen durch die Täuschung Hunderter Menschen erworben hat. Er ist es gewohnt, sich unverwundbar zu fühlen: Geld verschafft ihm Macht, Beziehungen, Schutz – ein ganzer Kokon, der sein „Ich“ abschirmt. Doch dann kommt der Moment, der von jemandem noch raffinierteren inszeniert wurde: Der Betrüger wird mit den getäuschten Investoren konfrontiert.
Es gibt niemanden, den er um Hilfe rufen könnte, der Schutz ist verschwunden, die Polizei zu rufen birgt das Risiko einer sofortigen Festnahme. Man stellt ihn vor die Tatsache: All dein Geld und deine Verbindungen sind nun machtlos. Vielleicht wird man dich der Polizei übergeben. Vielleicht wird Selbstjustiz geübt. Zum ersten Mal fühlt sich der Mensch, der sich mit dem Kapital identifiziert hat, einfach nur als Körper – als Materie, mit der man jetzt alles tun kann. Das ist der Moment der existenziellen Wahrheit.
Er erlebt eine Katastrophe des Daseins: Seine Lebensgeschichte „Ich habe alles unter Kontrolle“ ist zusammengebrochen. Der Status des „Herrn des Spiels“ ist annulliert – nun ist er nur noch eine Figur auf dem Spielbrett eines anderen. Ein archaischer Schrecken erfasst ihn – nicht die Angst vor dem physischen Tod, sondern die Angst, als Person zu verschwinden, das Gesicht zu verlieren, zur Sache zu werden. Heidegger nannte diesen Zustand Ergriffensein von der Angst. Der Protagonist unserer Szene ist vom Schrecken ergriffen: Er hat keinen Namen mehr, keine Macht, er ist nur noch Objekt eines fremden Willens.
Es ist ein Grenzzustand: Alle früheren Masken sind gefallen. Weder Berechnung (der rationale Verstand ist entmachtet – nichts lässt sich mehr kalkulieren oder erkaufen), noch moralische Selbstrechtfertigungen (die Rolle des „Opfers“ greift nicht – es gibt niemanden, bei dem man sich beklagen könnte) bieten Rettung. Seine Identität zerreißt: Er weiß nicht mehr, wer er ist, jetzt, da Geld, Status und Spiel verloren sind. Das Kapital, dem er sein Leben gewidmet hat, verliert in diesem Moment seinen Sinn – es lässt sich nicht gegen Freiheit eintauschen, die Regeln diktiert nun ein anderer.
Das ist die ideale Konfrontation mit dem eigenen Dasein. Der Mensch sieht im Spiegel nicht mehr das gewohnte, erfolgreiche „Ich“, sondern ein zitterndes Wesen – völlig abhängig, entlarvt. Alle Selbsttäuschungen sind aufgedeckt: Wie Gespenster tauchen all die Verbrechen und Lügen auf, die er begangen hat – denn sie lassen sich nicht länger verdrängen. Unterdrückte Ängste steigen auf: Angst vor Schmerz, Gefängnis, Vergeltung – Ängste, die früher durch Luxus und Macht betäubt wurden. Jetzt jubeln sie im Chor um ihn herum. Vor ihm steht ein fremder, kompromissloser Wille, dem es gleichgültig ist, wer er in der Gesellschaft gewesen ist. Das ist kein Gericht und kein Geschäft – es ist ein Urteil des Seins, in dem alle Maßstäbe des Erfolgs auf null gesetzt werden.
Aus philosophischer Sicht verwandelt sich das ideale Verbrechen in eine Art Initiationsritual. Jedes „Opfer“ (und wir setzen dieses Wort bewusst in Anführungszeichen, denn aus existenzieller Perspektive ist es kein Opfer, sondern ein Teilnehmer der Begegnung) durchläuft das reinigende Feuer des Schreckens und erhält im Kern die Chance zur Wiedergeburt.
Nach einer solchen Prüfung sind drei Ausgänge möglich – wie drei Tage der Seele:
Psychose – die Persönlichkeit hält der Konfrontation nicht stand, der psychische Zusammenbruch erfolgt. Der Schrecken ohne Masken ist kein leichtes Erlebnis; ein schwaches „Ich“ kann schlicht den Verstand verlieren, zerbrechen, unfähig, seine eigene Nichtigkeit anzunehmen.
Anerkennung der Niederlage – das Subjekt stimmt innerlich zu: „Ja, man hat mich überlistet, und das ist gerecht.“ Es verbrennt, aber ohne Klage, und erkennt die Überlegenheit des Anderen an. Darin liegt sogar eine gewisse Würde: Ein solcher Mensch kann, nachdem er den Schock überstanden hat, mit neuer Demut und einem tieferen Verständnis seiner eigenen Grenzen hervorgehen.
Verwandlung – die interessanteste Möglichkeit: Das Subjekt, das die Angst durchlebt hat, wird selbst zum Inframensch. Nachdem es absolute Abhängigkeit erfahren und den Tod seines früheren Egos überstanden hat, wird es neu geboren – nun ohne Illusionen und ohne Furcht. Wie gehärteter Stahl, der das Feuer überstanden hat, gewinnt es jene kalte Klarheit, die dem infrapersönlichen Zustand eigen ist. Das ist eine Art Psychotherapie durch Existenz: Der Schock hat die alte Persönlichkeit zerstört und das Material für eine neue geliefert – frei von den bisherigen Schwächen.
Es läuft beinahe auf Nietzsche hinaus: Was einen nicht umbringt, macht einen stärker – im Extremfall verwandelt es das Opfer in einen neuen Raubtier. Das ideale Verbrechen übernimmt damit die Rolle eines existenziellen Lehrers. Es legt die Wahrheit über den Menschen frei und entfernt die trügerischen Hüllen.
Darin liegt ein tiefer, wenn auch beängstigender Sinn: Das ideale Verbrechen ist ein Moment der Wahrheit, in dem die Ökonomie direkt auf die Existenz trifft. Geld entscheidet hier nichts mehr, das Gesetz schweigt – übrig bleibt nur der nackte Mensch vor dem Abgrund.
In diesem Essay haben wir eine schwierige, tragische und zugleich reinigende Gedankenlinie verfolgt: von der Angst des Kapitals bis zum idealen Verbrechen, von der Besessenheit des Besitzens bis zur Möglichkeit der Befreiung. Die existenzielle Ökonomie trat uns nicht bloß als Markttheorie entgegen, sondern als Philosophie des menschlichen Daseins in einer Welt des totalen Vorrangs ökonomischer Verhältnisse. Sie hat uns die Kehrseite der Statistik gezeigt – die menschlichen Leidenschaften, Ängste und Hoffnungen, die sich hinter den Renditekurven verbergen.
Darin liegt ihre Kraft und Tiefe: Sie kann der Ökonomie jene Dimension von Sinn und Moral zurückgeben, die ihr vielleicht schon seit Adam Smith und seiner „Theorie der ethischen Gefühle“ entglitten ist. Denn Ökonomie ist ein menschliches Konstrukt, und der Mensch ist ein existenzielles Wesen, das selbst im Streben nach Profit nach Bedeutung sucht. Dies zu ignorieren heißt, weder den Menschen noch das Kapital wirklich zu verstehen.